13.12.2012 (1:1 reprint)
Ein Radiokommentar von ElJay Arem (Kulturjournalist, Medienproduzent & Radiomacher)
Zum Nachhören (als reiner Teixtbeitrag (o. Musik) von 11 min. 30 sec. Länge):
[audio http://archive.org/download/20121213_IMC_presents_1st_Obituary_for_Sitar_Legend_Pandit_Ravi_Shankar_DE_Radio_Version/LJRM-Nachruf-Ravi-Shankar-Ohne-Musik-131202012-11min-30sec.mp3]
1ster Nachruf: “Weltmusik ? – Das Erbe der Sitarlegende Pandit Ravi Shankar”
Pandit Ravi Shankar verstarb 92jährig, am 11. Dezember 2012 um 16:30 Ortszeit in San Diego an der Pazifikküste Nordamerikas.
S e n d e t e r m i n e …
13. Dezember – 22:00-22:15 Uhr CET (04:00 pm EST) @ TIDE Radio (DE)
(Premiere: 13. Dezember 2012 – 19:00-19:15 @ radio multicult.fm (Berlin))
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Die Nachricht über das Ableben von Ravi Shankar in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch – wenige Tage nach einem chirurgischen Eingriff an seinem Herzen, in einem Hospital in der Nähe seines Wohnsitzes in Kalifornien – ging über die Ticker und via Twitter und Facebook um die Welt. Die weltweite Anteilnahme fühlte sich an wie eine Schockwelle innerhalb der Community der Musikliebhaber. Ich wähle hier wohlweislich den Begriff Musikliebhaber der indisch-klassischen Musik, dessen Vertreter Ravi Shankar war. Als Kulturjournalist ist man hier sehr verleitet, sich stereotypischen Bewertungen hinzugeben.
Aber mit Blick auf die mehr als acht (8) Jahrzehnte dauernde Musikerkarriere von Ravi Shankar stellt man fest, dass Ravi Shankar auch ein Meister darin war, seiner eigene Karriere zu befördern, äusserst radikal. Erst im Alter von 58 Jahren wurde seine erste Tochter Norah Jones und zwei Jahre später Anoushka Shankar geboren. Beide Töchter sind mit sehr unterschiedlichen Karrieren weltweit einem Publikum bekannt. (Redaktionelle Anmerkung: Der einzige Sohn von Ravi Shankar, Shubhendra Shankar (1942-1992) war Maler und Sitarspieler. Ravi’s Sohn ging aus der Ehe mit Annapurna Devi (s.u.) hervor.)
Am Todestag von Ravi Shankar veröffentlichte sein Musikverlag East meets West Music der Ravi Shankar Foundation die DVD “Ravi Shankar – Tenth Decade in Concert“. Die DVD ist eine Dokumentation mit einem Konzert, das der 91-jährige Ravi Shankar noch im Oktober 2011 in Escondido, Kalifornien gab.
[01:36:03: Musikbeispiel 1… Raga Mala]
Weltmusik…
Der “Godfather der World Music” ist tot. – Es lebe der “Pate der Weltmusik”. Dieses Image des Urvaters der Weltmusik wurde wesentlich mit geprägt von George Harrison der Beatles… bis zu seinem Ableben im November 2001.
Es wäre unangemessen, Ravi Shankar immer wieder auf diese lebenslang bestehende enge Freundschaft mit George Harrison zu reduzieren. Und es wäre unklug. Denn die Botschaft von Ravi Shankar an seine Zuhörer und auch an die Akteure im globalen Musikzirkus ist eine ganz Andere.
Was heisst im 20. oder 21. Jahrhundert Weltmusik ? – Den wenigsten ist bekannt, dass sich die westliche Klassik über den Weg Griechenlands und seine 5-Ton-Musik aus der indisch-klassischen Musik entwickelte. Und sich zunächst in den sakralen Kirchentonarten im europäischen Mittelalter wiederfand. So ist es begründet, dass man in Indien Johann Sebastian Bach als den am meisten indisch-klingenden Komponisten des Westens bezeichnet. Johann Sebastian Bach lebte von 1658 bis 1750.
Warum also Weltmusik als modernes Musikgenre ? – Was bedeutet dieser Begriff Weltmusik in den Augen des heutigen Betrachters, und was bedeutete er im Verständnis eines George Harrison, der bei Ravi Shankar im Sitarspiel Unterricht nahm, in Indien unterwegs mit den Beatles auf Sinnsuche. Es war die Zeit der Hippiebewegung. Der Hype um eine der ersten kommerziell ausgeschlachtete Boygroups, zu denen die Beatles wohl gezählt werden dürften, befremdeten auch einem George Harrison. Auch ihm war es mit der Musik wohl eher, wie für Ravi Shankar. George Harrison leuchtete ein, dass eine Kommerzialisierung, eine globale Musikindustrie, wie sie in den 60ern mit der Rockmusik und der 68er Bewegung begann, einem echten Dasein als Musiker eher schädlich sein könnte.
So verstand sich George Harrison, der mit den Beatles zu Reichtum gekommen war, als Beschützer und väterliche Figur für Ravi Shankar, dem es trotz seiner Übertreibungen in der Kommerzialisierung der indisch-klassischen Musik eher ernst mit der echten, klassischen Form der indischen Musik war.
Erziehung…
Bei genauerer Betrachtung hat Ravi Shankar seine Wurzeln der indischen Klassik nie verlassen. Er wurde zusammen mit der Sarodlegende Ali Akbar Khan und dessen hochtalentierter Schwester Annapurna Devi – bei deren Vater Allaudhin Khan ausgebildet. Der Unterricht war gänzlich geprägt von der indischen Musikpädagogik, einer persönlichen, lebenslangen Lehrer-Musiker-Beziehung, der Guru-Shishya-Parampara. Ravi Shankar wäre ohne seinem langjährigen Weggefährten und in der Ausbildung gleichermassen Leidensgefährten Ali Akbar Khan wohl zu keinem so herausragenden Sitarmeister geworden. Die strenge Hand von Allaudhin Khan gegenüber seinem Sohn Ali Akbar schreckte den sensiblen Ravi ab. Es ist das Einwirken von Ali Akbar Khan zu verdanken, dass Ravi Shankar nicht hinschmiss, und gar Ali Akbar’s Schwester Annapurna Devi heiratete. Die Heirat wurde 1941 vollzogen, da war Annapurna Devi – sieben (7) Jahre jünger als Ravi Shankar – gerade 14 Jahre jung. Annapurna war wohl die Begabteste aller Dreien, die aber zum Wohle von Ravi Shankar’s Karriere ihre eigene künstlerische Entwicklung zurückstellte.
Eines lernt man gewiss in der Arbeit als Kulturjournalist aus den Gesprächen mit hochkarätigen Weltklassemusikern, wie dem Perkussionisten Trilok Gurtu aus Mumbai, der indischen Violinistin Kala Ramnath oder dem IndoJazz-Saxophonisten George Brooks. Diese wahrhaftig globalisierten Menschen denken aus den Erfahrungen ihrer musikalischen Projekte schon längst nicht mehr in Nationalitäten wie es Politiker und die hohe Diplomatie immer noch und immer wieder konfliktträchtig tun. Im politischen Sinne war Ravi Shankar gewiss ein globalisierter Musiker, wie es der Santoormeister Shiv Kumar Sharma in seiner ersten Reaktion auf das Ableben von Ravi Shankar treffend nannte.
Als Wanderer zwischen den musikalischen Welten erhielt Ravi Shankar bereits im Alter von zehn (10) durch seinen Bruder Uday Shankar eine Denkschulung. Uday nahm den kleinen Ravi auf seinen mehrjährigen Tanztourneen (Compaigne de Danse et Musique) durch Europa mit. Ravi erhielt somit die Chance, ab 1930 die europäische Kultur vor dem zweiten Weltkrieg kennenzulernen – und im Abgleich der eigenen indischen Herkunft, verstehen zu lernen. Ravi Shankar konnte frühzeitig seine eigene Identität überprüfen, und die Privilegien als Mitglied einer höher gestellten Brahmanenfamilie im damaligen Indien bestehenden Kastensystem hinterfragen und überdenken.
Genauso bedeutend wie Ravi Shankar’s Sozialisierung sind seine künstlerischen Wegmarken, wie er sie mit dem Geigenvirtuosen Sir Yehudin Menuhin beschritten hatte. Das war bereits in den 50er Jahren. Zu den Anfängen der indischen Demokratie kam Menuhin des öfteren nach Indien, für seine Musikstudien der indisch-klassischen Musik.
Yehudin hat das eigentliche Wesen der indisch-klassischen Musik verstanden, aus der Distanz seiner eigenen Herkunft und Prägung durch die westlichen Klassik. Bis heute ist die nordindische Klassik, dessen Vertreter Ravi Shankar war, zu grossen Teilen Improvisationsmusik… innerhalb eines differenzierten Regelwerkes der unzähligen Ragaskalen.
Die Zusammenarbeit zwischen Ravi Shankar und Yehudin Menuhin ist auf dem zweiteiligen Album “West meets East” in dem Jahre 1966 und 1967 dokumentiert.
[06:59:05: Musikbeispiel 2… Raga Piloo]
Kommerzialisierung… Tradition & Moderne
Musik als universelle Sprache, grenzüberschreitend, völkerverständigend… in diesem Sinne mag man Musik in ihrem Wesen immer auch als Weltmusik, als Weltsprache verstehen können. Der Begriff schliesst aber nicht ein, dass das Zusammenwirken von Musikern aus unterschiedlichen Kulturkreisen und die Verknüpfung von Stilelementen ihrer unterschiedlichen Musiksystemen automatisch gute Weltmusik produzieren.
Hier hat auch Ravi Shankar aus seinen eigenen Fehlern gelernt. Seine Konzerte beim Monterey International Pop Music Festival im Jahre 1967 in Kalifornien, zwei Jahre später auf dem Woodstock-Festival oder in New York City, im Madison Square Gardens im August 1971 – mit der Tablalegende Alla Rakha und dem Sarodmeister Ali Akbar Khan an seiner Seite – für ein von den Beatles mit-iniziertes Concert for Bangladesh, diese Zeit hat Ravi Shankar später im Rückblick bereut. Den Hype um seine Person, die als Bestandteil der Hippiekultur wurde, und ein lärmendes Publikum, das Ravi Shankar’s Sitarklänge wohl eher als einen Zugang zur Erleuchtung missverstanden hat, blieben Ravi Shankar selbst in weniger guter Erinnerung.
Dennoch hat sich Ravi Shankar seine Neugierde für musikalisch Neues ähnlich der Jazzlegende Miles Davis bis ins hohe Alter bewahrt. Mit 70 veröffentlichte Ravi Shankar, zusammen mit dem amerikanischen Komponisten Phillip Glass, einem führenden Vertreter der zeitgenössischen Musik, das Album Passages, im Jahre 1990. Die Zusammenarbeit kam durch Peter Baumann von Tangerine Dream, der deutschen Musikgruppe für elektronische Musik zustande. Tangerine Dream wurde von Edgar Froese bereit 1967 gegründet.
[09:25:16: Musikbeispiel 3… Ragas in Minor Scale]
Kunst & Politik…
Ravi Shankar hat sich mit seinem Lebensstil als Weltbürger – mit Wahl seiner ersten Heimat in Nordamerika, frei von bürgerlichen Konventionen und der Erziehung seiner Tochter Anoushka in London, Delhi und Kalifornien – immer als Wanderer zwischen den Kulturen verstanden. – Ohne dabei seine eigene Position als Musiker der nordindischen Klassik wirklich zu verlassen.
Markant und nicht unumstritten unter den Musikliebhabern waren die Aufnahmen von Ravi Shankar in den Zeiten von Glasnost und Perestroika, unter Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Das Album “Inside the Kremlin” ist ein Live-Mitschnitt von Ravi Shankar’s Auftritt im ‘Palast der Kulturen’, im Jahre 1988. Für Inside the Kremlin spielte Ravi Shankar zusammen mit einem Orchester von 140 Musikern, die aus Indien stammten und aus der Soviet-Union. Wie bekannt, fand das russische Imperium sein Ende im Jahre 1991.
[10:55:18: Musikbeispiel 4… Tarana]
Indische Philosophie…
Ein wahrhaftiger Musiker sein, d.h. auch immer das Streben nach Wahrhaftigkeit im Mensch sein. Ravi Shankar war für sein musikalisches Wirken, auch vom Geiste der indischen Philosophie geprägt, der Vedanta. Die antike Vedanta war Grundlage für den Hinduismus und auch für den Buddhismus. In unserer Zeit würden wir Ravi Shankar’s Haltung als spirituell verstehen. Ravi Shankar war ein Meister in Sadhana, eine geistige Schulung durch Disziplin, persönlichem Einsatz, Aufgabe des Egos zur Erreichung eines spirituellen Zieles, durch Musik. So gibt es eine Vielzahl von Aufnahmen, die diese spirituelle Haltung Ravi Shankar’s und sein Verständnis über den Menschen als spirituelles Wesen zum Ausdruck bringen.
[12:20:00: Musikbeispiel 5… Asato Maa (Shanti Mantra)]
Musikalischer Nachwuchs… Zukunftsperspekiven
Dass sich Ravi Shankar für seinen persönlichen Erfolg mit den Reichen und Mächtigen medienwirksam einliess, mag man kritisch sehen. Er war auch in den Vorstandsebenen der großen indischen Plattenverlage wie HMV und Saregama vertreten, und hatte damit direkten Einfluss auf die Musikproduktionen dieser marktdominierenden Plattenlabels. Ravi Shankar’s persönliche Einschätzungen junger Nachwuchstalente in der indischen Klassik entschied nicht selten über das Sein oder Nicht Sein von ganzen Musikerkarrieren.
Dennoch könnten wir das Erbe von Ravi Shankar so verstehen, dass die Besinnung auf die eigene Herkunft, die eigenen musikalischen Wurzeln und dem sich treu bleiben, dass Ravi Shankar’s Widerstand gegen die Moderne im Sinne von Trends, wie wir sie in der Pop- und Eventkultur großer Festivals der letzten fünf (5) Jahrzehnte kennen, Voraussetzungen sind für ein wahrhaftiges Verstehen von echten, bestandsfähigen, traditionellen Werten, wie sie in der indisch-klassischen Musik ihren Ausdruck finden.
Unsere post-industrialisierten, modernen multi-ethnischen Gesellschaften versuchen aktuell die Wirkmechanismen von Inter-Kulturalität zu verstehen. Das Jahrzehntelange Schaffen und Wirken von Ravi Shankar mag uns dafür Orientierungspunkte geben.
Wenige Wochen vor seinem Ableben wurde Ravi Shankar für den Grammy in der Kategorie “Beste Weltmusik” vorgeschlagen, für sein jüngstes Album “Living Room Sessions – Part 1” (aus 2012). Damit stand Ravi Shankar bis vor wenigen Tagen in Konkurrenz zu seiner Tochter Anoushka Shankar, die ebenfalls als Grammy-Anwärterin vorgeschlagen wurde, für ihr Weltmusikalbum “Traveller”. Das Album ist bereits 2011 bei der Deutschen Grammophon erschienen. Ravi Shankar wird wohl am 10. Februar 2013 posthum beim 55. Grammy Award für den “Grammy Lifetime Achievement Award” ausgezeichnet – neben weiteren sechs Künstlern wie den Temptations oder dem Jazzmusiker Charlie Haden. Dann werden wir wieder über Patenfunktionen und den Begriff Weltmusik nachdenken dürfen.
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