Die Kanzlerin sucht einen neuen starken Partner für Deutschland in Asien. Neben verstärkter wirtschaftlicher Zusammenarbeit und mehr Kooperation in der Wissenschaft will Merkel über die gemeinsame Bewerbung für den UN-Sicherheitsrat reden. Als Handelspartner ist Indien aber ein Entwicklungsland.
Ein kleiner Souvenirtisch mit Teppichen und bunten Stoffen ist alles, was Angela Merkel am ersten Abend ihrer Indienreise von ihrem Gastland sieht. Das Blau des Pools schimmert durch das Gestrüpp, der Mond bescheint den Garten. Die Temperatur ist milde, livrierte Diener laufen umher und verteilen Drinks und Häppchen. Eine Szene, wie sie in jedem Luxushotel in Asien spielen könnte. Doch ab und an verirrt sich der ein oder andere an den kleinen Stand, an dem Damen im Wickelrock Reisemitbringsel aus Indien verkaufen.
Bahn-Chef Hartmut Mehdorn diktiert mitgereisten Reportern ein paar Sätze zum SPD-Beschluss zur Bahnprivatisierung in den Block, Merkel plaudert mit Jürgen Hambrecht, dem BASF-Chef und Vorsitzenden des Asien-Pazifik-Ausschusses des Bundesverbandes der Industrie (BDI). CSU-Landesgruppenchef Peter Raumsauer bleibt beim Bier, BDI-Chef Jürgen Thumann ratscht freundlich mit der Kanzlerin, nachdem er noch vor ein paar Tagen harsche Worte wegen mangelnder Reformen in der Heimat gefunden hatte. Einige der Deutschen tragen noch den roten Punkt auf der Stirn, den freundliche Damen den Besuchern beim Einchecken nach traditioneller Art mit roter Pulverfarbe aufgedrückt haben. Noch sind die Deutschen ganz unter sich, an diesem Montagabend. Nur ab und zu verirrt sich einer an den Souvenirtisch. Die Inder packen bald ein.
Die Annäherung an Indien beginnt im Kleinen
Die nächsten Tage werden hart genug. Klimawandel, Sicherheitsrat, Wirtschaftszusammenarbeit und Wissenschaftstransfer – die Themen, die Merkel in Neu Delhi zum Auftakt ihres viertägigen Besuches in Indien mit Singh besprechen will, sind breit gestreut. Auch der Austausch von Studenten sollte erleichtert werden. EU-Visa-Erleichterungen für Gastarbeiter sollen auch Thema sein. Die Annäherung an einen großen Staat beginnt ganz im Kleinen.
Ist Indien das bessere China? Merkel will auf ihrer Reise demonstrieren, dass Deutschland in Asien auch andere Partner hat als das autokratisch geführte China. Daher kommt sie gleich mit zwei Flugzeugen, einer 150-köpfigen Delegation, hat hochrangige Manager im Schlepptau. Als Demokratie passt Indien besser zu Europa, findet die Kanzlerin. „Indien als Demokratie hat eine sehr gute Perspektive. Wir Europäer haben alle Chancen dort“, sagte sie vor dem Abflug. CDU und CSU plädieren in ihrem am vergangenen Freitag vorgestellten Asienkonzept dafür, in der Region verstärkt den Schulterschluss mit demokratischen Staaten wie Japan, Südkorea oder eben Indien zu suchen.
Merkels Wirtschaftsdelegation hat die kaufkräftige Mittelschicht im Blick, die – je nachdem, welcher Studie man glaubt – zwischen 50 und 150 Millionen Menschen umfasst. Seit den Reformen von 1991, für die der heutige Premier Manmohan Singh als Finanzminister verantwortlich zeigte, zählt das Land neben China zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften; derzeit liegt das Wachstum bei neun Prozent. 600 Sonderwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild sollen diese Entwicklung beschleunigen. Nach China, Japan und Südkorea rangiert Indien nur auf Platz vier als Handelspartner Deutschlands in Asien. BASF-Chef Jürgen Hambrecht sieht die Deutschen daher als „noch nicht adäquat positioniert“.
Indien ist mehr noch als China ein Entwicklungsland
Andere Zahlen aber lasse diese Erfolgsmeldungen in einem etwas anderen Licht erscheinen. Etwa zwei Drittel der Inder sind Bauern. Über 300 Millionen Inder leben in Armut, 400 Millionen sind Analphabeten. In vielen Gegenden gibt es feudale Abhängigkeiten, werden Frauen, Unberührbare und Behinderte noch heute unterdrückt.
Merkels Reise nach Indien ist daher eine Reise in die Ungleichzeitigkeit. Die Kanzlerin bereist ein Land von Superreichen und sehr Armen, von Holzpflügen und Atomkraftwerken. Straßen und Gleise sind oft in erbärmlichen Zustand, hier hoffen Bahn-Chef Mehdorn und der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa Wolfgang Mayrhuber, beide begleiten die Kanzlerin, auf gute Geschäfte.
China wächst mit Industrieprodukten, Indien mit billigen Dienstleistungen. Mit Callcentern, die Kunden in Amerika bedienen, mit IT-Spezialisten, die für Unternehmensberatungen Powerpoint-Präsentationen erstellen. China wird von der kommunistischen Partei mit straffer Hand geführt, in Indien lassen Demokratie und Föderalismus auch Bürokratie und Misswirtschaft blühen. Auch darüber wollte Merkel mit ihren Gesprächspartnern – neben Premier Singh ist darunter die Vorsitzende der Kongresspartei Sonja Ghandi – reden.
Reise ist geprägt von politischen Themen
Zudem stehen politische Probleme auf Merkels Agenda. Sie will die stark von Öllieferungen abhängigen Inder im Atomstreit mit Iran weiter im Lager des Westens halten. Das umstrittene Atomabkommen zwischen Indien und den USA, das derzeit auf Eis liegt, soll nach Willen Merkels vorankommen. Es sieht vor, dass Indien amerikanische Kerntechnologie importieren darf. Damit wäre die jahrzehntelange atompolitische Isolation Indiens durchbrochen– und das, obwohl das Land dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist. Im Gegenzug sollen die Inder ihre Atomanlagen unter die Aufsicht der internationalen Atomenergiebehörde IAEA stellen. Die Kommunisten, die Singhs Mehrheit beschaffen, lehnen gerade diese Punkt ab, Indien gebe zuviel Souveränität preis. Auch die Deutschen waren anfangs mit dem Atomabkommen nicht glücklich, jetzt sehen sie es als Schritt zur Anerkennung der Realität.
Für Indiens Premier Singh wäre das Scheitern des Abkommens, mit dem Indien in den exklusiven Klub der anerkannten Atommächte aufsteigen würde, eine Katastrophe. Merkel trifft daher einen Premier am Rande des Scheiterns.
Dabei schätzt Merkel Singh. Beide gelten als Realpolitiker, als Menschen, die wissen, was machbar ist. Beide stecken in unliebsamen Koalitionen, wobei Merkels große Koalition sicher ein Kinderspiel gegen Singhs Bündnis mit den Kommunisten ist. Und auch bei Merkels Lieblingsthema, dem Klimawandel haben Singh und Merkel offenbar einen Draht zueinander gefunden – ihren jüngsten Vorschlag zur Begrenzung der CO2-Emissionen auf Pro-Kopf-Basis hat Merkel von Singh entlehnt.
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